«Alle unsere Mitarbeiter haben als Praktikanten angefangen» – Frédéric Mauch, BioApply

Anfangs Produzent eines Nischenprodukts, heute Marktführer in der Schweiz: BioApply-Gründer Frédéric Mauch über Produkte mit Sinn, die Vorteile von...

  • 25. November 2020
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Anfangs Produzent eines Nischenprodukts, heute Marktführer in der Schweiz: BioApply-Gründer Frédéric Mauch über Produkte mit Sinn, die Vorteile von Auslandserfahrung für den Start-up Alltag, und warum Motivation für ihn wichtiger ist als Berufserfahrung.{:.intro-text}

Herr Mauch, vor fünf Jahren haben Sie BioApply gegründet. Was ist die Idee dahinter?
Die Hauptidee entstand eigentlich schon vor zehn Jahren und bestand darin, eine Alternative zu den Single-Use Produkten zu finden, die nach ein paar Einsätzen im Müll landen. Uns ging es um das Material und den Lebenszyklus des Produktes: Wir wollten Produkte entwickeln, die biobasiert sind und kompostiert werden können, also biologisch abbaubar sind.

Was hat Sie zu dieser Geschäftsidee inspiriert?
Ich hatte zu der Zeit eine andere Firma, die Textilprodukte und Accessoires in Asien, besonders in China, produziert hat. Diese Produkte wurden hauptsächlich aus Plastik oder anderen fossilen Materialien hergestellt, 6000 Kilometer weit bis nach Europa verschickt und hier nach Verkauf ein paar Tage oder Monate benutzt. Dann kam die Erkenntnis, dass es einfach wenig Sinn hat, solche Produkte zu entwickeln und zu verkaufen – und dass wir tatsächlich sinnvolle Produkte entwickeln wollen. Produkte, die nicht einfach nur umweltfreundlich sind, sondern etwas, das wirklich neu ist und einen Unterschied macht.

Was waren die wichtigsten Meilensteine der letzten zehn Jahre?
Vor zehn Jahren waren kompostierbare Materialien und Produkte Science Fiction; etwas total Unrealistisches. Sowohl wegen der Preise als auch aufgrund der Tatsache, dass es noch keine Regulierungen gegen Plastik gab. Also haben wir unterschiedliche Sachen versucht: Neue Technologien, Entwicklungen, Produktentwicklung in mehreren Ländern. Aber wodurch wir letztendlich stark geworden sind und schliesslich unseren Weg gefunden haben, war die Spezialisierung auf die Verpackungen, die Säcke und Beutel. Heute sind wir in diesem Segment Marktführer in der Schweiz und haben auch bereits Agenten und Mitarbeiter in Frankreich. Unsere Produkte sind heute in vielen Ländern die Antwort zur Regulierung von Plastik: Das bestätigt, dass die Produkte sinnvoll sind und dass es richtig war, auf diese fokussiert zu bleiben.

Wie würde Sie die Arbeitsatmosphäre bei BioApply beschreiben?
Wir haben versucht, die Flexibilität eines Start-ups beizubehalten und können eigentlich von überall arbeiten: Von Zürich, von Genf, von unserem Büro in Portugal, das für die Entwicklung zuständig ist. Meine Kollegen reisen jede Woche nach Paris, Bern oder Zürich. Wir versuchen sehr mobil und flexibel zu sein. Ich denke, diese Start-up Atmosphäre ist wirklich ausschlaggebend.

Ein zweiter wichtiger Punkt: Alle unserer Mitarbeiter haben als Praktikanten angefangen. Unser Verkaufsdirektor und unser Logistik-Sourcing Direktor zum Beispiel haben beide vor sieben beziehungsweise fünf Jahren mit einem Praktikum bei uns begonnen. Wir halten es für sinnvoll, wenn Leute mit relativ kleiner Verantwortung anfangen und sich dann entwickeln. Das funktioniert natürlich besonders gut, wenn sie bereit für diese Start-up Welt sind, die zwar weniger strukturiert ist, aber wo man sehr schnell viele Verantwortlichkeiten übernehmen kann.

Was würden Sie Studierenden empfehlen, die über die Gründung eines Start-ups nachdenken?
Zunächst einmal sollte man selbst Praxiserfahrung sammeln – und zwar am besten sowohl in einem Start-up als auch in einem grossen Unternehmen: Praktika können einem viel beibringen. Vielleicht sogar mehr als ein Master-Degree. Am wichtigsten ist meiner Meinung nach ein Praktikum in einem Start-up oder einer Firma wie BioApply: Es bringt viele Aufgaben mit sich, und man kann schnell wichtige Verantwortungsbereiche haben – etwa in der Produktentwicklung, im Lobbying, Technologie oder Commercial Strategy. Kurz: Sie können mehr lernen als in einem Grossunternehmen, und deswegen ist es ein guter Schritt, um zukünftig selbst zu gründen.

Ergänzend dazu ist auch Erfahrung in einer grossen Firma sinnvoll, denn dort lernt man viel über Prozesse und entwickelt ein tiefergehendes Verständnis für den Markt. Ich persönlich habe lange bei Mercedes Benz gearbeitet: Das war nicht nur interessant, sondern auch sehr wichtig für mich als Unternehmer.

Und schliesslich noch ein Rat praktischer Natur: Bevor man von einer Idee zur Unternehmensgründung übergeht, muss man die Profitabilität testen! Wenn Sie glauben, ein sinnvolles Produkt zu haben, wählen sie ganz zufällig fünf oder zehn Leute aus und fragen Sie sie, ob sie bereit wären, etwas dafür zu bezahlen. Ein solcher Realitätscheck ist extrem wichtig, bevor man auf den Zug springt und eine Firma gründet.

Also eine Art Marktforschung in kleinem Umfang?
Im Prinzip schon, aber ich würde das wirklich ganz locker machen und einfach auf die Strasse gehen oder Freunde fragen. Viele glauben, aus ihrer Idee ein Geheimnis machen zu müssen – dabei hat man viel mehr zu verlieren, wenn man sie nicht testet. Wer würde einem Freund schon eine Idee klauen? Und selbst wenn: Ich glaube nicht, dass sie die gleiche Energie hätten wie derjenige, dem sie wirklich «gehört».

Von welchen Fähigkeiten, die Sie im Studium erlernt haben, profitieren Sie heute im Alltag?
Ich habe in der Schweiz, in den USA und in Frankreich studiert. Von dieser internationalen Erfahrung habe ich ohne Zweifel profitiert – schliesslich arbeiten wir inzwischen mit Partnern und Kunden in sieben Ländern zusammen. Ausserdem lernt man im Studium, mit sehr viel – manchmal zu viel – Arbeit umzugehen. In einem Unternehmen, besonders in einem Start-up, muss man auch oft viele Sachen zur gleichen Zeit machen, da es nicht für jedes Problem einen Mitarbeiter gibt, der sich darum kümmern kann. Trotz eines solchen Overflows alles zu organisieren und zu schaffen, das habe ich im Studium gelernt.

Können sie noch etwas mehr über die Vorteile eines Auslandsaufenthaltes erzählen?
Internationale Erfahrung ist immer hilfreich. Zum Beispiel sind schon Ost- und Westschweiz zwei verschiedene Welten mit geschäftlichen wie kulturellen Unterschieden. Und auch auf europäischer Ebene, in Italien, Deutschland, Spanien, Frankreich, sind die Mentalitäten sehr unterschiedlich. Diese Unterschiede versteht man mit der Erfahrung eines Auslandsaufenthaltes einfach besser und kann dementsprechend mit Leuten verschiedener Nationalitäten besser reden und handeln.

Ein Beispiel: Wir haben unsere Webseite erst auf Französisch aufgebaut und dann ins Deutsche und Englische übersetzt. Da wir nun in der Ostschweiz wachsen und dort mehr Dialog schaffen wollen, werden wir im Februar eine neue Webseite launchen. Diese wird zuerst auf Deutsch geschrieben und gedacht und anschliessend ins Französische übersetzt – ein grosser Unterschied! Dieses Verständnis, dass das Denken und der Ausdruck in verschiedenen Sprachen unterschiedlich sind, ist sehr wichtig. Mit Auslandserfahrung versteht man diese Unterschiede besser und kann sie besser angehen und bewältigen.

Worauf achten Sie besonders in einem Vorstellungsgespräch?
Vor allem möchte ich wissen, warum ein Kandidat bei uns arbeiten will. Wir stellen lieber jemanden mit wenig Erfahrung, dafür aber viel Motivation ein. Was wir tun, ist nicht nur ein Geschäft, sondern auch eine Mission. Deshalb entscheide ich mich lieber für einen Praktikanten ohne Erfahrung, der aber wirklich etwas schaffen will, als für einen erfahrenen Bewerber, der sich nur für die Mittagspause interessiert.

Den zweiten Punkt habe ich bereits angesprochen: Wir suchen Mitarbeiter, die in einer Umgebung, in der man oft sehr viele Informationen zu bearbeiten und sehr viele Dinge gleichzeitig zu tun hat, gut arbeiten können. Viele Leute brauchen einfach mehr Struktur – das ist natürlich an sich nichts Schlimmes, aber bei uns würden sie Schwierigkeiten bekommen. Es ist wichtig, dass man sich in ein dynamisches Umfeld integrieren kann.

Welche Skills muss ein Mitarbeiter noch mitbringen, um für ein junges Unternehmen arbeiten zu können?
Er muss dynamisch, mobil und proaktiv sein. Auch mal den Mut haben, eigene Ideen einzubringen und Dinge vorzuschlagen. Und es ist wichtig – sowohl für mich als auch für den Kandidaten – konkrete Ziele zu haben. Man will schliesslich gemeinsam etwas erreichen. Deshalb dauern Praktika bei uns auch mindestens sechs Monate – in drei Monaten schafft man einfach nichts. Die Frage nach der Zielsetzung kläre ich mit Praktikanten auch gleich am Anfang: Wie lange willst du bleiben? Was willst du in dieser Zeit erreichen? Und was sind deine Ziele für die ersten zwei, was für die ersten vier Monate? Diese Herangehensweise hat sich in den letzten zehn Jahren bewährt. Ich glaube, ohne klare Ziele ist Frustration auf beiden Seiten vorprogrammiert.

Wie geht es weiter mit BioApply? Wo sehen Sie die Unternehmung in fünf Jahren?
2015 war ein sehr gutes Jahr für uns: Wir sind stark gewachsen und konnten den Umsatz verdoppeln. Das liegt daran, dass wir eine starke Marke auf einem Markt sind, der inzwischen kein Nischenmarkt mehr ist. In ganz Europa gibt es Verbote für Plastikmüll und Initiativen für Kompost; ab 2017 etwa werden in Frankreich nur noch kompostierbare Verpackungen für Obst und Gemüse erlaubt sein.

Dementsprechend erwarten wir auch in den nächsten Jahren ein vergleichbar starkes Wachstum. Das wiederum bedeutet, dass wir uns von der typischen Start-up-Struktur mehr zu einer KMU-Struktur hinbewegen müssen; mit der Zeit nicht mehr nur Praktikanten, sonders auch Senior Manager einstellen. Wir sind aktuell auf dem Weg, unsere Struktur dahingehend zu stärken – damit wir uns nicht nur in der Schweiz durchsetzen, sondern auch die Internationalisierung schaffen. Das ist eine grosse Challenge.

Was würden Sie ihrem 20-jährigen Ich mit auf den Weg geben?
Da ich an meinem Weg und meinen Entscheidungen rückblickend nichts ändern würde, wäre mein Rat, nie aufzugeben und immer an einem Projekt dranzubleiben, solang man daran glaubt – auch wenn sich in den Glauben manchmal Zweifel mischen. Die Geduld lohnt sich!