Candidate experience - Du oder Sie im Stelleninserat?

Erst zehn Prozent der grössten Schweizer Banken, Versicherungen und Krankenversicherungen duzen in Stellenanzeigen konsequent. Unsere Analyse zeigt...

Erst zehn Prozent der grössten Schweizer Banken, Versicherungen und Krankenversicherungen duzen in Stellenanzeigen konsequent. Unsere Analyse zeigt, worauf es dabei ankommt.

Wie sprechen Sie potenzielle Mitarbeiter an, per Du oder per Sie? Die Frage hat Zündstoff: Die Ansprache prägt das Bild mit, das Bewerber von ihrem künftigen Arbeitgeber und dessen Kultur bekommen. Sie ist damit ein wichtiger Aspekt der Candidate Experience und bestimmt den Erfolg Ihres Employer Brandings mit.

Nutzen Schweizer Firmen dieses Potenzial? Wir wollten es wissen. Dazu haben wir die Jobinserate und Karriereseiten der zehn grössten Banken, Versicherungen und Krankenversicherer der Schweiz analysiert:

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Erst zehn Prozent der grössten Finanzinstitute und Versicherer setzen konsequent aufs Du im Stelleninserat.

Die Mehrheit bleibt beim klassischen Sie Die meisten Arbeitgeber bevorzugen im Stelleninserat und auf der Karriereseite die Höflichkeitsform. Die Krankenversicherer sind dabei besonders klassisch unterwegs. Sie siezen erfahrene Kandidaten und Kandidatinnen durchweg. Lernende werden bei allen Unternehmen üblicherweise geduzt.

Einige Banken und Versicherungen sind mitten im Wandel steckengeblieben: Die Anrede ist nicht konsequent. Sie publizieren im selben Sprachraum Stelleninserate mit unterschiedlicher Anredeform. In drei Fällen weicht die Ansprache im Stelleninserat von der Karriereseite ab.

Postfinance und Generali: in Sachen Du vorne dabei Dem Einfluss der amerikanischen Geschäftskultur zum Trotz: Das Duzen hat sich im Recruiting der Schweizer Finanz- und Versicherungsbranche noch wenig durchgesetzt. Lediglich zwei von 30 untersuchten Unternehmen duzen durchgängig: Generali und Postfinance. Dies betrifft neben den Karriereseiten die Stellenanzeigen auf allen Stufen, inklusive Kader.

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Mischformen und Brüche sind häufig Nicht alle Arbeitgeber gestalten ihren Bewerbungsprozess so einheitlich. Bei der Bâloise haben wir ein französischsprachiges Inserat entdeckt, in dem berufserfahrene Mitarbeiter im Titel geduzt und im Stellenbeschrieb gesiezt werden:

Ce que tu recevrais En entrant à la Bâloise, vous intégrez une société en pleine mutation : nous misons plus sur l’autonomie que sur la hiérarchie, menons des discussions d’égal à égal, remettons en question nos actions et nos processus, recherchons le bon équilibre entre l’ancien et le nouveau monde.

Auch auf anderen Erfahrungsstufen sind Mischformen und Brüche häufig. Die Migros Bank siezt Lernende auf der Karriere-Website und duzt sie im Stelleninserat. Das hat Nachteile. Eine inkonsequente Anrede verwässert die Positionierung und schadet der Arbeitgebermarke:

Finden Sie Ihre Lehrstelle Wir bilden in drei Lehrberufen im kaufmännischen sowie im IT-Bereich aus. Wer sich engagiert und Interesse zeigt, kommt bei der Migros Bank auch nach der Grundbildung weiter.

Kaufmännische/-r Lernende/-r Bank (E- und M-Profil) Der Umgang mit Menschen bereitet Dir Freude, Du arbeitest gerne am Comupter und möchtest in die Finanzbranche einsteigen? Dann bist Du bei uns richtig, denn wir bieten Dir ein abwechslungsreiches und spannendes Aufgabengebiet.

In den Röstigraben gestolpert Ein Blick auf die Sprachregionen zeigt, dass die Sache mit dem Du auch kulturell unterschiedlich gehandhabt wird. Sicher ist: In der Deutschschweiz und im Tessin wird lieber geduzt als in der Westschweiz. Drei Beispiele der AXA aus der Führungsstufe:

Komm zu AXA, der führenden Versicherung der Schweiz – als Leiter/Leiterin Accounting & Verträge Vieni da AXA, la compagnia di assicurazioni leader del mercato svizzero, ti attende nel ruolo di Agente Principale Rejoignez AXA, la première société d’assurances de Suisse, en qualité de Responsable Région de vente Prévoyance & Patrimoine Suisse romande

Konsequent zu sein fällt schwer Ab welcher Hierarchiestufe gilt die Sie-Form? Auch da sind sich Unternehmen uneins. Die einen siezen schon die Maturanden, die anderen sind auch mit Absolventen per Du.

Fazit: Die Du-Ansprache konsequent umzusetzen fällt schwer. Kulturelle und sprachliche Unterschiede stellen schweizweit tätigen Unternehmen gerne ein Bein.

Candidate Experience: Das Du allein macht noch keinen Sommer Das Du kann frisch, jung, persönlich und freundschaftlich wirken. Es schafft eine unkomplizierte Atmosphäre im Bewerbungsgespräch und steht für eine Kultur mit flachen Hierarchien. Aber reicht es, beim Recruiting zu duzen, um diesen Effekt zu erzielen? Schauen wir uns folgendes Beispiel der Helvetia an:

Hochschulpraktikum im Eventsponsoring Deine Verantwortung – Assistenz bei der Erfassung und Bearbeitung von Sponsoringanträgen – Ausarbeitung, Koordination und Umsetzung von Sponsoringaktivitäten – Erarbeiten kleinerer Konzepte im Bereich Kommunikation und Event – Allgemeine administrative Aufgaben im Bereich Eventsponsoring/Branding

Substantive dominieren. Die Bewerber werden kaum direkt angesprochen, sieht man von den Überschriften ab. Das klingt hölzern und unpersönlich; das Du wirkt aufgesetzt. Was wir daraus schliessen? Duzen entfaltet seine «verjüngende» Wirkung nur, wenn die Tonalität des gesamten Inserats dazu passt. Will heissen: Weg von unpersönlichen Substantiven hin zu einer Sprache, die das Du oft aufgreift und Verben bevorzugt. So macht es Generali:

Schadenexperte Einzelleben (m/w), 80 – 100 % Möchtest du unseren Complex Claims Life Bereich mit deiner Erfahrung in Schadenbearbeitung unterstützen? Bist du ebenfalls interessiert an einem breiten Aufgabengebiet? Dann würden wir dich gerne kennenlernen! Das erwartet dich – Du bearbeitest komplexe Leistungsfälle (medizinisch, finanziell und juristisch) – Du führst Versichertenbesuche im Bereich Claims Leben durch – Du unterstützt und vertrittst die Abteilung in Projekten

Daran sieht man: Es zieht sich eine Ansprache und damit eine Haltung durch. Eine solche Candidate Experience überzeugt. Vorausgesetzt, die Du-Kultur gilt nicht nur im Stelleninserat, sondern für den gesamten Bewerbungsprozess. Und natürlich im Firmenalltag.

Was gegen das Du spricht Sie sind vom Duzen im Recruiting nicht überzeugt? Es gibt tatsächlich Gründe, die dagegen sprechen, wie das HR-Portal Persoblogger aufzeigt:

– Duzen kann anbiedernd wirken und verunsichern: Wie sollen die gesuchten Talente auf das Inserat antworten? Welche Anrede gilt im Vorstellungsgespräch? – Das Du weckt zudem Erwartungen an die Unternehmenskultur, die danach auch erfüllt werden müssen. – Gibt es einen Weg zurück zur Sie-Form, wenn der Versuch scheitert?

Mit diesen Punkten sollten Sie sich auseinandersetzen, wenn Sie im Employer Branding mit dem Du liebäugeln.

Das Du muss zur Marke und zur Kultur passen Das Du ist kein Patentrezept, um die Arbeitgeber-Marke zu verjüngen. Die Du-Ansprache muss zur Marke und zur Kultur passen. Für ein stimmiges Gesamterlebnis muss sie über die gesamte Candidate Journey konsequent umgesetzt und im Arbeitsalltag gelebt werden.

Falls Sie zögern: Es gibt noch andere Wege, um das Problem zu lösen. Die Luzerner Kantonalbank und die Zurich siezen angehende Mitarbeitenden zwar, weisen jedoch auf die firmeneigene Du-Kultur hin:

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Auch die Helsana siezt in ihren Stellenanzeigen, ist jedoch intern seit 2017 per Du. Die Bilanz ist positiv: «Der Umgang ist einfacher geworden. Keiner muss sich fragen, ob er mit jemandem per Sie oder Du ist», sagt Flavia Arizzoli, HR Consultant bei Helsana. Das Du sei im Firmenalltag inzwischen selbstverständlich, ergänzt sie, dank konsequenter Umsetzung: «Man muss wissen, worauf man sich einlässt, und das Du knallhart durchziehen – auch wenn es zunächst schwerfällt, ältere oder höhergestellte Personen zu duzen.»

Das Du im Stelleninserat ist für Helsana ein Thema. «Vor allem die IT-Verantwortlichen erhoffen sich dadurch einerseits mehr Dossiers und andererseits kulturell passendere Kandidaten und Kandidatinnen», so Arizzoli: Der Fachkräftemangel ist gross, und das Du entspricht den Gepflogenheiten der IT-Branche.

Auf Du und Du von A bis Z Generali und Postfinance ziehen das Du im gesamten Bewerbungsprozess durch. Wie die Unternehmen mit dem Dafür und dem Dawider des Duzens vorgegangen sind, sagen uns Iris Schuler, Employer Brand & HR Marketing Expert bei Generali, und Taru Koch, Leiterin Staffing bei Postfinance.

Was war der Grund für den Entscheid, aufs Du zu wechseln?

Iris Schuler: Generali möchte als Arbeitgeberin ein Umfeld bieten, das Offenheit und Austausch auf Augenhöhe fördert. Die Umstellung auf die Du-Kultur war ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Das Du lädt ein, Gedanken einfacher zu äussern. Es schafft Klarheit, denn man muss nicht mehr überlegen, ob man eine unbekannte Person siezt oder duzt. Heute grüssen auch die Lernenden den CEO mit «Hoi Andi».

Taru Koch: Sich auf Augenhöhe zu begegnen ist uns sehr wichtig. Diesen Wert wollten wir nach aussen tragen. Über die Du-Ansprache wird er sichtbar. Daher haben wir uns 2016 zum Du im Rekrutierungsprozess entschlossen. Die Du-Kultur innerhalb des Unternehmens pflegten wir aber bereits lange zuvor.

Wie ist das Unternehmen dabei vorgegangen?

Iris Schuler: Die Initiative kam vom HR. Der CEO war spontan begeistert. Er kommunizierte in seinem wöchentlichen Blog auf unserem Intranet, dass per sofort auf allen Hierarchiestufen und in der ganzen Schweiz das Du gelte. Auch im Rekrutierungsprozess. Die Mitarbeitenden setzten die Du-Kultur anschliessend autonom um. Wir vom HR waren lediglich da, um Fragen zu beantworten. Im Umgang mit potenziellen Mitarbeitenden sind wir aktiver. Beim Erstkontakt sprechen wir sie mit Du an und fragen, ob dies in Ordnung geht. Wünscht jemand das Sie, dann berücksichtigen wir das natürlich.

Taru Koch: Die Initiative ging vom HR aus. Nach dem positiven Entscheid der Geschäftsleitung setzten wir ein Pilotprojekt auf. Wir führten das Du erst bei den Trainees und Praktikanten ein, da wir annahmen, dass das Zielpublikum positiv darauf reagiert. Nach einer quantitativen Erfolgskontrolle weiteten wir die Du-Ansprache auf andere Bereiche aus. Begleitend schulten wir HR-Mitarbeitende und Vorgesetzte, etwa zu Stelleninseraten, telefonischen Auskünften und dem Bewerbungsgespräch. Und wir stellten Hilfsmittel wie Präsentationen, Korrespondenzbeispiele und Q&A zur Verfügung.

Welche Schwierigkeiten sind dabei aufgetaucht?

Iris Schuler: Für die einen war die Du-Ansprache ungewohnt, vor allem für Westschweizer. Dort ist man im Umgang viel formeller. Deshalb dauerte es länger, bis sich das Du etabliert hat. Nach und nach wurde aber allen bewusst, dass Duzen die Kultur dynamischer und unkomplizierter macht. Mittlerweile schätzen dies die Mitarbeitenden.

Taru Koch: Unsere Befragung zeigte kulturelle Unterschiede zwischen den Sprachregionen. Das Duzen ist in der Deutschschweiz intern und extern gut angekommen. In der Westschweiz und im Tessin wurde es dagegen als eher unhöflich empfunden.

Wie reagierte das HR darauf?

Iris Schuler: Wir haben die Vorteile der Du-Ansprache immer wieder kommuniziert, aber niemanden gezwungen, sie sofort umzusetzen. Stattdessen fragen wir lieber nach, wie sie klarkommen. Wichtig ist uns, dass die Mitarbeitenden das Du von sich aus pflegen.

Taru Koch: Um die Candidate Experience in jeder Region als positives Erlebnis zu gestalten, haben wir uns entschlossen, in der italienischen und französischen Schweiz beim Sie zu bleiben.

Welche Vorteile ergeben sich aus der Du-Ansprache?

Iris Schuler: Sie wirkt sich positiv auf unser Bild als Arbeitgeberin aus. Vor allem die Generationen Y und Z schätzen die Du-Kultur sehr und finden es sehr angenehm, gleich per Du zu sein. Das Du entspricht ihrem Wunsch nach einem einfachen, schnellen und unkomplizierten Umgang. Im Bewerbungsprozess ziehen wir Leute an, die auf die Du-Kultur ansprechen. *Taru Koch: *Mit der Du-Ansprache differenzieren wir uns am Markt. Wir ziehen so Kandidaten an, die zu uns passen.

Wie kommt das Du bei Kandidatinnen und Kandidaten an?

Iris Schuler Die meisten finden, dass es den Umgang vereinfacht. Im Interview ermöglicht es eine lockere Atmosphäre, und beim Kandidaten wird auch die Nervosität etwas gemildert. So entsteht bereits von Anfang an das unkomplizierte Miteinander, was Teil unserer Unternehmenskultur ist.

Taru Koch: Die Kandidatinnen und Kandidaten reagieren meist sehr positiv. Sie empfinden das Du als frisch und modern. Duzen ist ein Eisbrecher; es schafft eine positive Atmosphäre.

Was sollten Firmen beachten, die sich das Du im Bewerbungsprozess überlegen?

Iris Schuler: Das Du sollte an die Unternehmenskultur anknüpfen; die Brücke zu etwas Bestehendem schlagen. Man sollte Mitarbeitenden erklären, warum man zum Du wechselt, und sie bei Unsicherheiten unterstützen. Dabei helfen konkrete Hilfsmittel wie ein FAQ oder Telefontrainings zum Rekrutierungsprozess.

Taru Koch: Sie sollten sich fragen, ob das Du authentisch ist und zur Unternehmenskultur passt. Beim Umsetzen empfiehlt es sich, mit Augenmass vorzugehen: Abhängig von der regionalen Kultur und dem Bewerbungsvolumen kann der Weg zum Du mehr Zeit brauchen. Damit Mitarbeitende den Entscheid mittragen, sollte man ihn begründen und sie bei der Umsetzung unterstützen. Ein Pilotprojekt unterstützt die interne und externe Akzeptanz zusätzlich.