Gipfelstürmen mit Köpfchen: Wie du eine Wissenschaftskarriere hinlegst

Ursula Keller ist seit 20 Jahren leidenschaftliche Physikprofessorin an der ETH Zürich und leitet eine Forschungsgruppe am Institut für Quantenelek...

  • 16. Februar 2020
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Ursula Keller ist seit 20 Jahren leidenschaftliche Physikprofessorin an der ETH Zürich und leitet eine Forschungsgruppe am Institut für Quantenelektronik. Zudem bekleidet sie das Amt der Direktorin des nationalen Forschungsschwerpunktes über ultraschnelle Prozesse in molekularen Bausteinen. Das quirlige «Super Brain» war die erste Frau an der ETH mit einer Professur in einem naturwissenschaftlichen-technischen Fach. Wie du das auch schaffen kannst? Mit viel Eigeninitiative und unbändigem Willen.

Text: Sheila Eggmann, Girls Drive

Kurzer Szenenwechsel in eine Physiklektion. Schon einmal von Eichbosonen gehört? Wir auch nicht. Nun, es handelt sich dabei um die Teilchen in der Elementarteilchenphysik, die Grundkräfte vermitteln und deshalb auch Kraftteilchen oder Austauschteilchen genannt werden. Wäre Ursula Keller ein Physikteilchen, wäre sie wohl so ein Eichboson – ein Kraftteilchen. Sie stellt den Dialog zwischen den Professorinnen her und sorgt für einen regen Austausch untereinander. Ihr erklärtes Ziel: Mehr Frauen für die naturwissenschaftlich-technischen Fächer begeistern und ihnen in diesem Bereich eine wissenschaftliche Karriere ermöglichen! Dies, weil auch noch nach zwanzig Jahren nur zwei Frauen im Physikdepartment die ordentliche Professur innehaben. Zwar gebe es laut Ursula Keller junge Frauen, die sich für das Physikstudium entscheiden, doch würden diese früher oder später von der Karriereleiter verschwinden. Um jenen Frauen den Weg für eine berufliche Zukunft im naturwissenschaftlichen Bereich zu ebnen und Hindernisse zu beseitigen, gründete Ursula Keller vor drei Jahren das ETH Women Professors Forum. Damit will sie für die jetzigen ETH Professorinnen und auch für die nachfolgende Generation Chancengleichheit für Frauen in einer Männerdomäne herstellen – also auch für dich. Nutze diese Chance!

Das ETH Women Professors Forum alleine macht aus dir aber noch keine Karrierefrau – dafür musst du die Zügel selbst in die Hand nehmen. Anfangs ist es das Wichtigste herauszufinden, was du kannst und was dir Spass macht. «Frauen sind vielmals breiter begabt als Männer, die Gesellschaft drückt sie aber immer wieder in die altbekannten Frauenberufe», ist sich Ursula Keller sicher. Für die Karriereplanung ist es wichtig, dass du dich bewusst über das Stereotypendenken hinwegsetzt und dir alle Optionen offenhältst. Überlege, was du für dich selbst willst. Und «lass dich ja nicht durch den Gedanken, dass du später einmal Kinder haben möchtest, beruflich einschränken!». Ursula Keller geht hier mit gutem Beispiel voran. Auch sie hat zwei Kinder und sie ist sicher, dass es ihnen nie an etwas gefehlt hat: «Es gibt ja heute viele Möglichkeiten für arbeitende Frauen mit Kindern.»

Hast du dich für einen Karriereweg entschieden, solltest du früh in ein gutes Basiswissen investieren. Bereits mit guten Bachelornoten kannst du dich für ein Studium im Ausland bewerben – eine spannende Erfahrung, die sich nicht nur im Berufsleben auszahlt! «Als ich nach Amerika ging, sagte ich mir: Im schlimmsten Fall lerne ich Englisch, alles andere ist ein Bonus. Ich hatte ja nichts zu verlieren. Rückblickend kann ich sagen, dass meine Studienjahre im Ausland eine wahnsinnige Bereicherung waren. Ich empfehle jedem Studenten, ins Ausland an eine gute Uni zu gehen und den Horizont zu erweitern», erzählt Ursula Keller. Lass dich bei der Wahl der Uni unbedingt von deinen Professoren beraten. Sie wissen, was gefragt ist und haben ein weltweites Netzwerk, von welchem du profitieren kannst: «Ich kenne keinen Professor, der den Schülern nicht weiterhilft, wenn sie Fragen haben – doch die Schüler müssen unbedingt selbst die Initiative ergreifen und uns konkrete Fragen stellen.»

Wenn du dich für eine naturwissenschaftliche oder technische Studienrichtung entscheidest, wird es anfangs bestimmt Menschen in deinem Umfeld geben, die dir das nicht zutrauen. Doch das Praktische an diesen Fächern ist, dass die Ergebnisse sehr oft direkt messbar und damit super gut vergleichbar sind. «Wenn ich einen Laser baue, der besser ist als alle anderen, dann ist er besser», bringt es Ursula Keller auf den Punkt. Bei Fächern, wo eher Softfaktoren entscheiden, ist dies nicht so einfach: «Bei den Musikern etwa merkte man, dass wesentlich mehr Männer gefördert wurden. Dann begann man, die Studierenden beim Vorspielen hinter einem Vorhang zu verstecken; und siehe da: Der Frauenanteil stieg signifikant.» Es ist wohl noch immer so, dass die Gesellschaft Männern mehr zutraut. «Daran sind aber nicht nur die Männer schuld. Auch wir Frauen pflegen diese Vorurteile. Auch wir trauen uns selbst und anderen Frauen weniger zu», erklärt Ursula Keller. Sie kommt aus einer Familie ohne akademischen Background – die Mutter war Verkäuferin, der Vater Mechaniker. Sie hat sich früher nie träumen lassen, ein solch aufregendes Leben als Wissenschaftlerin zu führen. «Doch ich habe die Zügel selbst in die Hand genommen, bin immer dem gefolgt, was mir Spass machte und habe mir immer alle Optionen wieder neu angeschaut – nach der Matura, nach dem Diplom und so weiter. Man muss nicht schon mit 20 Jahren die ganze Karriereplanung bis zur Pensionierung im Kopf haben. Im Gegenteil – neue Optionen machen das Leben viel interessanter. Und manchmal kommen diese neuen, guten Möglichkeiten sogar, wenn man ein anderes Ziel nicht erreicht hat und sich neu orientieren muss.»

Auf die Frage, ob sie alles noch einmal genauso machen würde, antwortet sie mit einem bestimmten Ja: «Hätte man mir als Kind gesagt, 'du hast die Wahl zwischen der roten und der blauen Pille – die rote Pille ist der sichere Weg, mit der blauen realisierst du deine eigenen Träume', ich hätte nie gezögert und tue es auch heute nicht: Ich würde zu jeder Zeit die blaue Pille nehmen! Ich habe viel mehr erleben dürfen, als ich mir als Mädchen erträumt habe. Man kann den Berg auf zweierlei Weise erklimmen: Man kann den Lift nehmen oder man läuft hoch. Ich habe mich fürs Laufen entschieden. Man schwitzt zwar und ist sich nicht immer sicher, ob man es noch schafft – aber oben angekommen ist die Aussicht viel schöner, wenn man sie sich selbst verdient hat.»

6 Karrieretipps von Ursula Keller

  1. Ergreif selbst die Initiative
  2. Lote all deine Optionen aus
  3. Setz dich über das Stereotypendenken hinweg
  4. Lass dich von deinen Professoren beraten
  5. Schreibe gute Basisnoten – das öffnet neue Türen
  6. Geh an eine gute Uni im Ausland

Dieser Beitrag ist in der GIRLS DRIVE Ausgabe 10 (Herbst 2015) erschienen.